Ein Krieg in der Ferne

Prolog-Ausstellung, 1.7.–1.8.22
Festival, 22.9.–16.10.22, Eröffnungstage 22.9.–25.9.22

Kriege sind in die Geschichte des steirischen herbst eingeschrieben. Während frühe Festivalausgaben vom Kalten Krieg überschattet wurden, fanden spätere statt, als gleich nebenan die Jugoslawienkriege wüteten. Der russische Angriff auf die Ukraine, der auf schmerzhafte Weise verblichene Erinnerungen an den Ersten und Zweiten Weltkrieg wachruft, bildet den neuesten Eintrag in dieser langen Liste drohender Kämpfe in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Gelegentlich hat man jedoch immer noch den Eindruck, dass in dieser gemütlichen Ecke Österreichs, wie auch an vielen anderen behaglichen Orten in Europa, Kriege und sogar Konflikte fehl am Platz sind. Ausbrüche des Mitgefühls gegenüber denen, die von Kriegen „anderswo“ betroffen sind, sind zweifellos aufrichtig, aber gleichzeitig gilt die Welt hier als sicher: Kriege „machen wir hier nicht“. Die Front wird auf Abstand gehalten, nicht gesehen und nicht gehört, bis das Verdrängte mit voller Wucht zurückkehrt.

Im Juli haben wir uns in einem Prolog dem russischen Krieg gegen die Ukraine zugewandt, mit einer Ausstellung von Filmen ukrainischer Künstler:innen sowie Filmen über die Ukraine vor und während des Krieges. Die meisten von ihnen werden nun online zu sehen sein. Dieser Krieg soll keinen Moment aus dem Blickfeld geraten, auch wenn das Thema des Festivals breiter ist: Es geht um die Kriege, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Steiermark, zu Österreich und zu Westeuropa abgespielt haben und doch immer wieder aus dem Sichtfeld geschoben, ignoriert und verdrängt wurden. Mit einem dichten Programm an Ausstellungen, Performances und Diskussionen widmet sich der steirische herbst dieser bedrohlichen Präsenz von Schlachten, die man geistig abschirmt, und fragt, was sie in der heutigen, postpandemischen Atmosphäre, in einer von Isolation geprägten Gesellschaft bedeuten.

Im Zentrum des Festivals steht eine umfangreiche Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie Graz entstanden ist. Der steirische herbst öffnet den historischen Eingang des Museums und nimmt dessen Sammlung unter die Lupe, um in einer Reihe von Begegnungen zwischen Kunstwerken aus dem 19. und 20. Jahrhundert und zeitgenössischen Werken eine sehr subjektive Geschichte über Kriege und ihre Wurzeln zu erzählen. Von den historischen Werken wurden viele lange oder überhaupt nie gezeigt, während unter den neuen viele Auftragsarbeiten sind, die im Dialog mit der Sammlung entstanden sind.

Die Ausstellung stellt klassische Narrative der Moderne infrage und bietet eine subjektive und fragmentarische Neuinterpretation der Sammlung der Neuen Galerie Graz, die Spuren ignorierter Kriege, verborgener Geschichten und unterdrückter Konflikte offenlegt. Sie verbindet Vergangenheit und Gegenwart und erforscht die künstlerische Reflexion einer zunehmend gespaltenen Welt, die von der Auflösung von Imperien, anhaltendem Kolonialismus und wachsenden Klassenkonflikten geprägt ist. Während so die dunkleren Seiten der Moderne untersucht werden, reflektiert das Festival auch seine eigene tiefer liegende Politik. Diese Ausstellung ist eine Kooperation mit der Neuen Galerie Graz / Universalmuseum Joanneum und läuft bis 12. Februar 2023.

Das performative Programm des Festivals aktiviert andere Motive und Erinnerungen im Zusammenhang mit Kriegen und Konflikten in neuen Auftragsarbeiten von Boris Charmatz, Boris Nikitin, Theater im Bahnhof, Giacomo Veronesi, Ming Wong und Raed Yassin.

Im Forum Stadtpark präsentiert der steirische herbst eine Ausstellung zum Filmemacher Harun Farocki, die sich gegen die Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts richtet. Sie enthält auch weniger bekannte Werke und wird sowohl von Diskussionen und Gesprächen als auch dem herbstkabarett begleitet, das heuer mit Verena Dengler, eSeL (Lorenz Seidler) und Les Trucs seinen Auftakt feiert.

In einer neuen Zusammenarbeit mit dem Literaturmagazin manuskripte steuert der steirische herbst eine Sonderrubrik mit Kriegstagebüchern und -gedichten aus der Ukraine bei, ausgewählt von der Lyrikerin Galina Rymbu.

Wie gewohnt umfasst der steirische herbst das traditionelle Festival im Festival musikprotokoll und das Literaturfestival Out of Joint. Hinzu kommen Kollaborationen mit neuen Partnerinstitutionen.

Viele weitere Projekte und Erlebnisse erwarten uns in diesem Herbst, darunter eine Einzelausstellung der bedeutenden Künstlerin und Filmemacherin Hito Steyerl im Kunsthaus, Plakatausstellungen zum Thema Grafikdesign und Werbung in der ganzen Stadt und ein lebhaftes Programm des Vereins APORON 21, der die hübschen Retro-Räumlichkeiten von Pichler Möbel in der Plabutscherstraße übernommen hat. Das Theater Quadrat inszeniert einen Roman des Künstlers und Schriftstellers Werner Schwab, während Bernd Watzka seine Interpretation des steirischen Kultromans Aus dem Leben Hödlmosers von Reinhard P. Gruber zeigt. Der allererste Preisträger des neu geschaffenen Grazer Werner-Fenz-Stipendiums, Hannes Zebedin, eröffnet seine skulpturale Intervention im Rösselmühlpark. Auch das ist der herbst, genau wie die herbstbar im beliebten Café Feinkost Mild, wo eine Reihe verlockender Formate auf Sie warten.


Künstler:innen: Gabriel Abrantes, Friederike Anders, Boris Charmatz [terrain], Keti Chukhrov, Josef Dabernig, Harun Farocki, Jannik Franzen, Aslan Goisum, Assaf Gruber, Emil Gruber, Flaka Haliti, Heinali (Oleh Shpudeiko), Yuriy Illienko, Iman Issa, Zhanna Kadyrova, Rajkamal Kahlon, Iosif Király, KwieKulik, Kateryna Lysovenko, Ekaterina Muromtseva, Henrike Naumann, Navaridas & Deutinger, Boris Nikitin, Igor Friedrich Petković, Nihad Nino Pušija, Mykola Ridnyi, Willem de Rooij, Augustas Serapinas, Theater im Bahnhof, Giacomo Veronesi, Ming Wong, Raed Yassin; herbstkabarett mit Verena Dengler, eSeL (Lorenz Seidler), Les Trucs; Künstler:innen aus der Sammlung der Neuen Galerie Graz





Das Festival wird von den Kurator:innen Ekaterina Degot, Mirela Baciak, Dominik Müller, Christoph Platz, David Riff, Gábor Thury und dem gesamten Team des steirischen herbst gestaltet. Mit kuratorischer Beratung von Goran Injac.

Kurator:innen der Ausstellung in der Neuen Galerie Graz: Ekaterina Degot mit David Riff, Christoph Platz, Mirela Baciak, Barbara Seyerl (steirischer herbst), mit kuratorischer Beratung von Gudrun Danzer and Günther Holler-Schuster (Universalmuseum Joanneum)